Übersicht
Einführung
„Schon als Kind liebte ich es, mich stundenlang mit mir selbst zu beschäftigen. Ich baute rießige Playmobillandschaften, malte unzählige Bilder und entwarf meine eigenen Kinderzeitschriften. Das bedeutete nicht, dass ich nicht auch gerne mit anderen Kindern spielte… Meine Energie schöpfte ich jedoch im Alleinsein. Auch heute im Berufsleben geht es mir ähnlich. Ich genieße zwar den Austausch mit Kollegen und Kunden, meine Energiereserven fülle ich jedoch auf, wenn ich Zeit für mich alleine habe. Geplante Firmenfeiern oder ein Tag voller Kundentermine kann für mich aufgrund der vielen Menschen, Gespräche und anderen Eindrücke, teilweise sehr erschöpfend sein.“
Findest du dich in diesen Worten vielleicht wieder und geht es dir ähnlich? Dann könnte es sein, dass du eine Tendenz zur Introversion hast und vielleicht auch hochsensibel bist.
Was bedeutet Hochsensibilität?
Zu laut, zu viele Eindrücke, zu viele Menschen – Hochsensibilität ist ein Phänomen, bei dem Betroffene stärker als der Durchschnitt auf äußere Reize reagieren. Hochsensible Menschen (HSP = Highly Sensitive Person) nehmen ihre Umwelt aufgrund neurologischer Besonderheiten auf allen Ebenen und mit allen Sinnen verstärkt wahr. Man könnte auch sagen, dass pro Zeiteinheit mehr Informationen aufgenommen werden. Die Forschung geht davon aus, dass etwa 15-20% aller Menschen hochsensibel sind. Die Bandbreite möglicher Erscheinungsformen ist dabei sehr groß. Praktisch jeder Sinneseindruck kann verstärkt und damit detaillierter wahrgenommen werden. Es können auch starke Reaktionen auf Medikamente, Alkohol und Koffein sowie Anfälligkeiten für Stress und Leistungsdruck auftreten.
In der Forschung wurde die Hochsensibilität durch Dr. Elaine Aron erstmals 1996 in die Wissenschaft eingebracht, indem sie ihr Buch „The Highly Sensitive Person – how to thrive when the world overwhelmes you“, veröffentlichte. Sie bemerkte, dass es Personen geben muss, welche in Situationen empfindlicher reagieren als andere. Nach aktuellem Forschungsstand handelt es sich bei der Hochsensibilität nicht um ein Persönlichkeitsmerkmal, sondern um eine genetische Veranlagung mit relativ stabilem Auftreten.
Selbsttest: Bin ich hochsensibel?
Auch wenn es kein allgemeines „Diagnoseverfahren“ gibt, um Hochsensibilität festzustellen, kannst du mithilfe gängiger Testverfahren, den Verdacht auf deine eigene Hochsensibilität prüfen. Der wohl bekanntest Test ist die HSP-Messskala von Dr. Elaine Aron (www.hsperson.com). Angelehnt an die HSP-Messskala können dir die folgenden Ja-/Nein-Fragen als Selbsttest dienen:
- Ich fühle mich leicht überwältigt durch starke Sinneseindrücke.
- Offenbar habe ich eine feine Wahrnehmung für Unterschwelliges in meiner Umwelt.
- Die Stimmungen anderer Menschen beeinflussen mich.
- Ich reagiere eher empfindlich auf körperlichen Schmerz.
- Ich habe an geschäftigen Tagen das Bedürfnis, mich zurückzuziehen – an einen Ort, wo ich allein sein kann
- Auf Koffein reagiere ich heftiger als viele andere Menschen.
- Ich fühle mich schnell überwältigt von Dingen wie grelle Lichter, starke Gerüche, raue Textilien auf meiner Haut o.ä.
- Ich besitze ein reiches, vielschichtiges Innenleben.
- Laute Geräusche bereiten mir Unbehagen.
- Kunstvolle Musik bewegt mich tief.
- Manchmal liegen meine Nerven derart blank, dass ich nur noch alleine sein möchte.
- Ich bin ein gewissenhafter Mensch.
- Ich bin schreckhaft.
- Es bringt mich leicht aus der Fassung, wenn ich in kurzer Zeit viel erledigen muss.
- Wenn andere Menschen sich in einer Umgebung unwohl fühlen, weiß ich eher als manche andere, was notwendig ist, um Wohlbefinden herzustellen (zum Beispiel durch eine Veränderung der Beleuchtung oder der Sitzordnung).
- Ich werde ärgerlich, wenn man von mir erwartet, zu viele Dinge gleichzeitig zu tun.
- Ich gebe mir große Mühe, Fehler zu vermeiden oder Dinge nicht zu vergessen.
- Fernsehsendungen und Spielfilme mit Gewaltszenen meide ich.
- Ich fühle mich unangenehm erregt, wenn sich um mich herum viel abspielt.
- Hungergefühle stören nachhaltig meine Konzentration und beeinträchtigen meine Stimmung.
- Veränderungen in meinem Leben treffen mich sehr heftig.
- Ich bemerke und genieße feine Düfte, Geschmäcker, Klänge oder Kunstwerke.
- Ich empfinde es als unangenehm, wenn ich mich mit mehreren Dingen gleichzeitig beschäftigen muss.
- Für mich ist es sehr wichtig, mein Leben so zu organisieren, dass ich Situationen vermeide, in denen ich mich ärgern muss
- Laute Geräusche, chaotische Szenen und ähnliche starke Reize stören mich.
- Wenn ich mit anderen Menschen konkurrieren muss oder beobachtet werde, während ich eine Aufgabe erfülle, macht mich das so nervös und unsicher, dass ich weitaus schlechter abschneide, als ich eigentlich könnte.
- Als Kind haben meine Eltern und Lehrer mich als sensibel oder schüchtern angesehen.
Wenn du mehr als 14 Aussagen als zutreffend markiert hast, liegt die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du hochsensibel sein könntest. Sollte die Anzahl geringer sein, die betreffenden Aussagen aber in extremem Maße zutreffen, so könnte ebenfalls eine Hochsensibilität vorliegen.
Typische Eigenschaften von hochsensiblen Menschen
Es gibt eine Reihe von Eigenschaften die typisch für HSP sind:
- Du hast ein reiches Innenleben, eine vielschichtige Fantasie und bist kreativ
- Du bist eher perfektionistisch und handelst meist eigenverantwortlich
- Du reagierst besonders sensibel auf Stress
- Du tendierst zu einem großen Harmoniebedürfnis
- Du hast ein hohes Maß an Selbstreflexion sowie ein besonderes Maß an Empathie
- Du nimmst deine Umwelt sehr detailreich wahr
- Die Stimmungen anderer Menschen kann dich schnell und stark beeinflussen
- Du nimmst Kunst und/oder Musik besonders intensiv wahr
Fühlst du dich von einigen der hier aufgezählten Eigenschaften sofort angesprochen oder hast sie öfter bei dir selbst erlebt? Das könnte vielleicht darauf hindeuten, dass du selbst eine hochsensible Veranlagung hast.
Besondere Herausforderungen für hochsensible Menschen
Während viele Eigenschaften von HSP sehr bereichernd sein können, wird die Gabe der verstärkten Wahrnehmung besonders in reizüberfluteten Umgebungen schnell zum Fluch:
- HSP tendieren eher dazu, sich schnell ablenken zu lassen und haben schneller Konzentrationsprobleme.
- Sie sind schneller und häufiger erschöpft als andere und reagieren sehr empfindlich auf Stress
- Sie sind sehr sensibel
- Sie tendieren dazu, Veränderungen eher zu meiden
- Ihr eigener Perfektionismus kann sie langfristig ausbremsen oder unter Druck setzen
- Sie laufen zudem Gefahr, zu viel zu grübeln (Overthinking)
- HSP haben teilweise ein geringes Selbstwertgefühl, da im Umfeld die Akzeptanz für ihre hohe Sensibilität fehlt
- Es kann schneller zu einem Gefühl der Überforderung und dem Wunsch nach sozialem Rückzug kommen
Wie kann ich mit der Hochsensibilität im Alltag besser umgehen?
Um mit der Hochsensibilität im Alltag besser umgehen zu können und eher die positiven Seiten zu genießen, gibt es eine Reihe an Tipps:
- Annehmen statt Bekämpfen: Nehme deine Hochsensibilität an und beginne, sie mit ihren guten sowie schlechten Seiten zu akzeptieren. Wir sind alle Individuen mit eigen Stärken und Schwächen und das ist auch gut so. Nur wer sich annimmt und gut auf sich Acht gibt, kann letztlich ein für sich passendes und erfüllendes Leben aufbauen.
- Weniger ist mehr: Reduziere, wo immer du kannst, äußere und innere Reize. Du kannst bspw. äußere Reize durch Trennwände, Ohrstöpsel, geschlossene Schränke und ein gutes Ordnungssystem reduzieren. Innere Reize verringerst du mithilfe von ausreichend Schlaf, Meditation, Zeit im Grünen, einer kreativen Auszeit o.ä.
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung (bevorzugt in der Natur) kann helfen, die Reizüberflutung zu vermeiden oder auch übermäßiges Grübeln zu stoppen
- Kontakt mit Gleichgesinnten: Vernetze dich mit anderen HSP, um deine Erfahrungen und Empfindungen auszutauschen.
Fazit
Für HSP kann die eigene Hochsensibilität gerade in unserer reizüberfluteten Zeit eine Herausforderung bedeuten. Nicht selten fehlt es auch an Akzeptanz durch das eigene Umfeld. Gleichzeitig liefert die Hochsensibilität jedoch viele positive Eigenschaften und kann als besondere Gabe gesehen werden. Wenn HSP es schaffen, im Alltag einen guten Umgang damit zu finden, können sie sowohl privat als auch beruflich die Vorteile ihrer feinfühligen Veranlagung nutzen und sich ein erfüllendes Leben erschaffen, dass wirklich zu ihren individuellen Bedürfnissen passt.